In den Sommermonaten beginnt mein Tag oft mit dem Fahrradtrip zum Ruderverein in der ersten Morgendämmerung. Nach Ankunft hole ich meinen Rudereiner „Nora“ aus der Halle, treffe letzte Vorbereitungen und lege das Boot an den Steg ins Wasser für eine etwa eineinhalbstündige Trainingseinheit. Oft werde ich gefragt welche Notwendigkeit zwingt mich zu dieser frühen Stunde. Ich kann viele Gründe angeben: Die leeren Straßen, der Blick auf das Landsberger Wehr am Lech der mir einiges über den Wasserstand sagt, das entspannte Radeln im Wald am Lechufer nach Kaufering und – vor allem – das anschließende über das Wasser gleiten, zunächst mit ruhigen Schlägen, in Richtung Stauwehr. Der leichte Morgennebel über dem Wasser, die Vogelwelt beobachtend und die doch immer etwas anderen Bedingungen von Wasser, Wind und Wetter begleiten mich auf der FahrtIn der Regel ist zu dieser Zeit auf dem Clubgelände und auch an dem angrenzenden großen Parkplatz wenig Betrieb. Die Parkfläche ist zu dieser Zeit nahezu leer. Drei Institutionen grenzen an diesen etwas überdimensionierten Parkplatz: Der RCLK, die derzeitige Flüchtlingsunterkunft und das Lechtalbad. Drei Adressen mit einer doch sehr unterschiedlichen Klientel.Bei genauer Beobachtung tut sich schon zu dieser frühen Stunde einiges rund um den Parkplatz. So beobachtete ich einmal beim Aufbocken des Bootes vor der Halle, eine Gestalt die sich an den Mülltonnen zu schaffen machte. Ich konnte sie nicht richtig erkennen durch die Hecke. Bei näherem Hinschauen sah ich einen alten Mann, sein Fahrrad schiebend auf der Suche nach Pfand-Plastikflaschen. Als ich ihn ansprach fühlte er sich ertappt, er sprach sehr gebrochenes deutsch und wollte schnell verschwinden. Ich hielt ihn zurück und signalisierte, er solle mich begleiten. In der Halle befanden sich etliche Müllsäcke gefüllt mit PET-Pfandflaschen, die seit Wochen oder Monate dort lagen. Ich drückte ihm zwei der Säcke in die Hand. Sein Gesichtsausdruck wechselte von besorgt zu überrascht, er bedankte sich mehrfach, packte geschickt die Säcke auf sein Fahrrad und war weg.Oft sind auch Flüchtlinge auf dem Steg oder an der Abgrenzung des Rudervereins zum Parkplatz. Meistens schmale Gestalten mit einem Mobiltelefon gerüstet. Oft denke ich an die Schicksale von Flucht, Krieg und Vertreibung die sich hinter diesen Leuten verbergen mögen. Das allgegenwärtige Telefon um mit ihren Familien im mittleren Osten, Afrika oder sonst wo zu kommunizieren? Oft suchen sie sich eine ruhige Ecke am Parkplatz, am Steg oder vor dem Bad, vielleicht um der Enge der Flüchtlingsunterkunft zu entkommen?Eines Morgens stellte ich wie üblich mein Fahrrad in die Bootshalle und hörte eine Stimme die ich neben der Halle ortete, ein beliebter Rückzugsort für die Flüchtlinge da weg vom Trubel ihrer Unterkunft. Diese Stimme war jedoch anders, eher ruhig und auch sogar etwas liebevoll. Ich stellte mir vor, dass der junge Mann den ich nur hörte aber nicht sehen konnte, vermutlich mit seinem Kind irgendwo in einem fernen Land sprach oder gar über Video kommunizierte. Ich schulterte mein Boot um es in Richtung Steg zu bringen, legte es jedoch auf dem Weg dahin ab um meine Neugier zu befriedigen. Wie sah er aus, der Mann mit der sanften Stimme? Er saß an der Bretterwand der Halle zusammengekauert. Ich winkte ihm zu. Sein Gespräch am Telefon war wohl beendet. Ich sagte zu ihm ob er mir helfen könne, nicht weil ich seine Hilfe gebraucht hätte, sondern weil ich mit ihm ins Gespräch kommen wollte. Er war sofort zur Stelle mit einem Lächeln im Gesicht und wir beförderten das Boot gemeinsam zum Steg und aufs Wasser. Ich verstand das er aus Syrien sei und er Familie dort habe, viel mehr konnte ich auch aus sprachlichen Gründen nicht in Erfahrung bringen. Er blieb am Steg bis ich hinter der Brücke verschwand.Nach meinen Auf- und Ab-Runden auf dem Lech legte ich wieder am Steg an. Der Parkplatz ist dann oft schon halbvoll mit Autos der Besucher im Lechtalbad. Zu dieser Zeit sind die Besucher entweder Muttis mit ihren kleinen Kindern oder Pensionisten so wie ich, die die Sauna aufsuchen. Einige male bin ich auch nach der Rudereinheit rüber in die Sauna gegangen. Nichts schöner als nach einer Trainingseinheit auf dem Wasser in die wohlige Sauna zu steigen. Das Publikum des Lechtalbads kontrastiert scharf mit den Flüchtlingen nebenan: Hier alt, dort jung; hier eher rundlich, dort schmächtig; hier gesättigt und träge, dort lauernd und unruhig.Und im RCLK, dem dritten Player am Parkplatz? Da ist wenig bis gar kein Betrieb um diese Zeit. Außer gelegentlich Unentwegte wie Hans-Jürgen, Nati, Moni, Tristan oder ich selbst. Dabei ist das „sunrise rowing“ die beste Zeit zum Rudern. Oft ist hoher Wasserstand und damit verbunden wenig Strömung, meistens kein Wind und somit keine Wellen auf dem See und, im oberen Drittel der Strecke ab August, leichter Nebel der eine mystische Stimmung erzeugt. Wenn die Sonne dann noch von Osten über das Hochufer steigt, sich langsam durch den Nebel arbeitet und die Vogelwelt langsam erwacht, ist das für mich wie eine Symphonie. „Nora“ und ich kommen unter diesen Bedingungen gut in Fahrt. Da geht’s mir richtig gut, die Seele wird durchgeputzt, während das Geschehen am Parkplatz weiterhin seinen Gang geht.
(Frank Heidenhain)